|  Vier Ebenen einer ErfahrungDas Wort Mercosur ruft gleichzeitig den Gedanken an eine regionale Realität, 
        eine strategische Idee, einen formalen Prozess mit seinen Mechanismen 
        sowie ein Bild hervor.
 Die regionale RealitätAls regionale Realität hat der Mercosur viele Dimensionen. Er 
        stellt ein internationales Subsystem dar, das die Politik, die Wirtschaft 
        und die Kultur umfasst. Seinen Ausdruck findet dieses System hierbei in 
        Konzepten und Verhaltensweisen der Regierung, der Unternehmerschaft und 
        der Zivilgesellschaft, in Handels- und Investitionsflüssen sowie 
        in auf Interaktion beruhenden Netzwerken, die viele Ebenen des gesellschaftlichen 
        Lebens bestimmen. Es prägt einen geographischen Raum, der sich auf 
        ganz Südamerika erstreckt. In seinem eigentlichen Kern schaut der 
        Cono Sur auf eine Geschichte der Gemeinsamkeiten, selbst der gemeinsamen 
        Konflikte, deren eigentliche Wurzel auf der Iberischen Halbinsel zu suchen 
        ist.
 Die strategische IdeeAls strategische Idee, die ihre politische Konkretion unter den Präsidenten 
        Alfonsm und Sarney erfuhr und die anschließend von den Gründern 
        und Fortführern des Mercosur aufgegriffen wurde, bedeutet eben dieser 
        Mercosur das Bestreben, der Logik der Integration den Vorzug vor der Logik 
        der Zersplitterung zu geben und somit einen gemeinsamen Raum der Stabilität 
        und der Demokratie zu schaffen, dessen Träger ihre Ressourcen und 
        Märkte teilen und die gemeinsam auf internationaler Bühne konkurrieren 
        und Handel treiben. Dies ist keineswegs eine abstrakte Idee. Sie hat vielmehr 
        konkrete Motive und Ausdrucksformen, die in ihrer Intensität und 
        der Frage der zu setzenden Prioritäten unter den jeweils verschiedenen 
        Umständen und bei den einzelnen Partnern durchaus nicht gleich sein 
        müssen. Selbst innerhalb eines Landes - seiner gesellschaftlichen 
        Gruppen, Sektoren und Regionen - kann die Idee der Integration die Antwort 
        auf unterschiedliche und nicht notwendigerweise miteinander in Einklang 
        zu bringende Beweggründe sein.
 Zum Zeitpunkt ihres Aufkommens im Jahre 1986 stand die strategische Idee 
        in engem Zusammenhang mit der Notwendigkeit, den Wiederaufbau der Demokratie 
        zu fördern. Später kamen andere Zielsetzungen hinzu, die der 
        gemeinsamen Arbeit Impulse verliehen und die im Zusammenhang mit den sich 
        in den jeweiligen Ländern abspielenden Prozessen der Produktionsumwandlung 
        und der Handelsöffnung sowie mit den die gesamte Hemisphäre 
        umspannenden Verhandlungen standen. In einigen Fällen mag die Notwendigkeit 
        vorrangig gewesen sein, die Verhandlungsmöglichkeiten auf dem Gebiet 
        des Handels, beispielsweise mit den USA, zu erweitern. In anderen Fällen 
        mag es dagegen in erster Linie darum gegangen sein, den Zugang zu einem 
        erweiterten Markt sicherzustellen, um so die Produktionsumwandlung durch 
        eine Erhöhung der Anziehungskraft für Investitionen zu stützen, 
        was wiederum eine Steigerung des Wohlstands der Bevölkerung nach 
        sich ziehen würde. Dies sind keine sich ausschließenden Zielsetzungen. 
        Im Gegenteil, die verschiedenen Partnerländer wissen, dass derartige 
        Ziele vor dem Hintergrund ihrer engen Beziehung ein Gleichgewicht der 
        jeweiligen Nationalinteressen schaffen, das es erlaubt, eine solide Partnerschaft 
        untereinander aufzubauen. Jedoch zeigt die Erfahrung, dass die Idee der Integration, wenn sie auf 
        Dauer tragfähig sein will, in ihrer strategischen; Dimension die 
        Schaffung eines regionalen Umfeldes bedeuten muss, das das Erreichen prioritärer 
        nationaler Zielsetzungen noch mehr begünstigt. Somit ist sie keine 
        aus einer hypothetischen supranationalen Rationalität erwachsende 
        eines jeden der Partnerländer. So gelangt man also von der nationalen 
        Idee kommend zur regionalen, und nicht umgekehrt. Aus der tiefsten kulturellen Wurzel heraus, d.h. aus der Notwendigkeit 
        heraus, die nationale Identität angesichts der durch die Globalisierung 
        freigesetzten Zentrifugalkräfte zu betonen und zu behaupten, entspringt 
        die Strategie eines gemeinsamen Arbeitens, eines Arbeitens in systematischer 
        Form und mit dauerhafter Perspektive. Die strategische Idee bringt nicht 
        notwendigerweise ein unumkehrbares Phänomen hervor. Sollte dies doch 
        der Fall sein, so wird man es erst im Laufe der Zeit wissen. Aber ihr 
        Wesensmerkmal, also das, was diese Strategie zu einem Phänomen macht, 
        das sich beispielsweise von dem Phänomen gutnachbarschaftlicher Beziehungen 
        zwischen aneinander grenzenden Nationen unterscheidet, ist das, was ein 
        Streben nach Unumkehrbarkeit in sich birgt. Von daher hat der die Partnerschaft 
        bestätigende Pakt - in diesem Fall der Vertrag von Asunciön 
        - permanenten Charakter. Dieser öffnet übrigens keinen geradlinigen 
        Weg, ganz im Gegenteil: Wie die europäische Erfahrung zeigt, gab 
        sich dieser Weg als ein vielfach gewundener zu erkennen, der sogar von 
        Krisen und gelegentlichen Rückschlägen keineswegs frei war. 
        Der Irrtum bestand oftmals darin, die Idee der Integration als eine Art 
        beleuchteter Autobahn in Richtung Wohlstand und grenzenlosen Fortschritt 
        zu verkaufen! Der formale Prozess und seine MechanismenAls formaler Prozess mit seinen Mechanismen bedeutet der Mercosur 
        die Entwicklung von Mechanismen und Zeitplänen zur gemeinsamen Gestaltung 
        von Märkten und Ressourcen, zunächst im Rahmen einer Zollunion 
        und dann im Rahmen eines gemeinsamen Marktes. Ziel ist es hierbei, Kapazitäten 
        für die internationalen Handelsgespräche zusammenzuziehen, eine 
        dynamische Konzertierung der Nationalinteressen zu erreichen sowie gemeinsame 
        Prinzipien, Kriterien und Spielregeln - formale, informale und stillschweigend 
        mit einbezogene - festzusetzen, die wiederum dazu dienen sollen, die Vorgehensbestehen 
        in einer Vielzahl von Signalen an Bürger, Investoren und Drittländer, 
        die zu erkennen geben, welche Ziele verfolgt werden sollen, innerhalb 
        welcher Fristen dies geschehen soll und welche Wege zur Verwirklichung 
        der gemeinsamen Ziele einzuschlagen sind. Im Verlaufe der Entwicklungsgeschichte 
        des Mercosur wurde diese Art von Signalen, die Mechanismen und Spielregeln 
        zu erkennen geben, häufig aus dem Blick verloren.
 Sie sind weder Mechanismen noch Spielregeln - und könnten dies auch 
        nicht sein -, die nur im Bereich des kurzfristigen Handels ihre Geltung 
        haben. Für diesen Zweck war es kaum erforderlich, ein solch komplexes 
        und ambitiöses Gebilde wie den Mercosur zu schaffen. Im Gegenteil, 
        seine Legitimität wurzelt in dem langfristigen, ausdrücklich 
        im Sinne der Partnerschaft formulierten Ziel der Entwicklung eines gemeinsamen 
        Marktes - so wie er im Vertrag selbst definiert worden ist -, der auf 
        dem Prinzip der Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten der Vertragspartner 
        beruht. Daher können dessen Ergebnisse auch nicht nur in Welthandels-und 
        Konjunkturbilanzen gemessen werden. Um eine Richtung zu haben, die zu 
        einer Art Vermittlungsdiplomatie führen könnte, existieren Mechanismen 
        und Spielregeln - oder sollten existieren -, die tatsächliche Auswirkungen 
        auf Investitionsentscheidungen und Strategien sowohl einheimischer als 
        auch ausländischer Unternehmer im Hinblick auf den erweiterten Raum 
        oder auch auf das Verhandlungsverhalten von Drittländern haben könnten. 
        Qualität und Effizienz dieser Mechanismen und Spielregeln hängen 
        in hohem Maße von dem Grad an Vorhersehbarkeit ab, der den Investoren 
        geboten wird, aber auch von den Zukunftsperspektiven, die den Bürgern 
        eröffnet werden. Deren hauptsächliche Ergebnisse müssen 
        dann an den Auswirkungen auf die in jedem der Mitgliedsländer getätigten 
        Investitionen gemessen werden, die wiederum eine Folge der verbürgten 
        Garantie eines unbeschränkten Zugangs zum integrierten Markt ist, 
        aber auch der gewährten präferenziellen Behandlung von aus Drittländern 
        stammenden Gütern und Dienstleistungen. Je prekärer die Spielregeln sind, umso negativer werden sie sich 
        auf das Investitionsverhalten gegenüber jenen Partnerländern 
        auswirken, die über Märkte mit relativ geringer Dimension verfügen. 
        In dem Maße, in dem ein Investor in dem erweiterten Wirtschaftsraum 
        zu operieren plant, wird seine Schlüsselfrage stets die sein, ob 
        er für seine Güter und eventuell auch für seine Dienstleistungen 
        tatsächlich den gesicherten unbeschränkten Zugang zu den 200 
        Millionen Verbrauchern hat - und in diesem Falle, wer ihm diesen Zugang 
        garantiert (Dimension des Freihandels) - aber auch die nach dem konkreten 
        Unterschied, der sich aus der Frage ergibt, ob er seine Operationen inner- 
        oder außerhalb des erweiterten Wirtschaftsraumes durchführt 
        (Dimension der Zollunion und des gemeinsamen Marktes). Das Verhalten der 
        Investoren, und somit auch die Wirksamkeit des Integrationsprozesses für 
        ein jedes der Partnerländer werden in hohem Maße von der Qualität 
        und Tragfähigkeit der tatsächlichen Argumente, die eine Anwort 
        auf diese Fragen gestatten, abhängen. Hier liegt in letzter Instanz 
        der Unterschied zwischen einem "regelorientierten" (rule-ori-ented) 
        Prozess im Hinblick auf eine Alternative, die die Wirklichkeit selbst 
        präsentiert, sowie einem machtorientierten (power-oriented) Prozess, 
        in dem die Regeln der einseitigen Ermessensfreiheit eines jeden Partnerlandes 
        im Hinblick auf dessen tatsächliche Ausstattung mit relativen Machtmitteln 
        unterworfen sind. Das BildAls Bild ist der Mercosur das Ergebnis seiner Wahrnehmung durch Bürger, 
        Investoren und Drittländer. Gemeint ist hiermit der Empfang der von 
        den Regierungen im Rahmen des Prozesses und mittels der eigenen Mechanismen 
        und Spielregeln ausgesandten Signale durch die genannten Hauptadressaten. 
        Der Mercosur stellt die Umsetzung dieses Empfangs in konkrete Erwartungen 
        und Verhaltensweisen dar. Je schwächer, ungenauer und flüchtiger 
        diese Signale sind oder je schlechter ihre Qualität ist, umso weniger 
        Einfluss haben sie auf ihre Adressaten, denn schließlich wirken 
        sie sich auf die Effizienz bzw. auf die erhofften Ergebnisse aus. Ganz 
        offensichtlich ist dies der Fall bei den In-vestitionen, die auf den erweiterten Markt abzielen.
 Das Bild kann daher nicht einfach aus der rhetorischen Erklärung, 
        der Rede, entstehen. In dem Maße, in dem es sich unter den gegebenen 
        Machtverhältnissen als stabil erweist, stellt es im Übrigen 
        ein wesentliches Element in der Artikulation der Regierungsabsichten dar. 
        Jedoch der kritische Blick besonders der Investoren sowie der Drittländer, 
        mit denen man in Verhandlungen einzusteigen wünscht, wird die Qualität 
        der gefundenen Kompromisse, ihre Solidität und Einklagbarkeit, aber 
        auch ihre Fähigkeit, sich in der Wirklichkeit zu behaupten, ihre 
        Projektionskraft und ihre Dauerhaftigkeit einer sehr genauen Prüfung 
        unterziehen. Wenn es keine Abstimmung unter den verschiedenen Mechanismen 
        - beispielsweise die unbeschränkte Öffnung der Märkte und 
        die makroökonomische Koordination - gibt, oder wenn es auf grundlegende 
        Fragen - beispielsweise auf die nach dem ausbleibenden Fortschritt in 
        der makroökonomischen Koordination oder auf die nach den durch die 
        Mitgliedsländer zu ergreifenden Maßnahmen, falls ein erhebliches 
        Ungleichgewicht im Umtauschsystem die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen 
        Seite verzerrt - keine befriedigende Antwort gibt, oder wenn schließlich 
        die Unsicherheit der Aussichten auf eine Verwirklichung der Zollunion 
        oder des gemeinsamen Marktes zunimmt, werden die Investoren, die durch 
        den in Aussicht gestellten erweiterten Raum angezogen werden könnten, 
        ihre Entscheidung hinterfragen oder in eine Wirtschaft mit entsprechend 
        größeren Dimensionen investieren. Dies wäre aus ihrer 
        Sicht das vernünftigere Verhalten. Und auch die Drittländer 
        werden die dem geplanten Block innewohnenden Schwächen wahrnehmen 
        und die Konsequenzen ziehen, indem sie beispielsweise den potenziellen, 
        unter den Mitgliedsländern herrschenden Zentrifugalkräften neue 
        Impulse verleihen werden. Auch aus ihrer Sicht wäre dies das vernünftigere 
        Verhalten.  Zehn Jahre Erfahrung: Fortschritte und Rückschläge in allen 
        Bereichen Die regionale WirklichkeitAuf einer ersten Ebene, d.h. auf der Ebene der regionalen Realität, 
        sind die in den vergangenen zehn Jahren erzielten Fortschritte offenkundig. 
        Dies geben das Wachstum des wechselseitigen Handels ebenso zu erkennen 
        wie die in dem integrierten Raum als solchem getätigten Investitionen. 
        Hierbei ist es schwer zu sagen, in welchem Maße diese Fortschritte 
        auf den formalen Prozess und die Mechanismen des Mercosur zurückzuführen 
        sind bzw. in welchem Maße auf den Umstand der geographischen Nachbarschaft 
        von Ländern, die sich in hohem Umfang dem internationalen Handel 
        geöffnet haben. Die Frage, was mit dem Handel und den Investitionen 
        passiert wäre, wenn der Mercosur als Prozess nicht existiert hätte, 
        kann ebenso wenig in präziser Form beantwortet werden.
 Sicher ist dagegen, dass man von einer Situation relativ niedriger Interdependenz 
        - gemes-sen durch verschiedene Indikatoren im Bereich des Handels und 
        der Direktinvestitionen, aber auch durch Indikatoren, die den Entwicklungsgrad 
        grenzüberschreitender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Netze 
        zu erkennen geben, sowie durch jene, die die Bereitschaft zu einer gemeinschaftlichen 
        Verteidigung der Demokratie, so wie seinerzeit zum Ausdruck gebracht angesichts 
        einer politischen Krise in Paraguay, erkennbar machen - zu einer Situation 
        umfassender Interdependenz übergegangen ist. Diese macht es nahezu 
        unmöglich, dass das, was in einem der Länder geschieht, keine 
        gravierenden Auswirkungen auf das politische und wirtschaftliche Leben 
        in den anderen Ländern hätte. Noch ist das Niveau wirtschaftlicher 
        - und auch politischer -Interdependenz nicht erreicht, das die europäischen 
        Länder aufwiesen, als sie im Jahre 1950 durch den Pariser Vertrag 
        die EGKS (Anm.d.Ü.: Europäische Gemeinschaft für Kohle 
        und Stahl) schufen, oder als sie im Jahre 1958 den Weg in Richtung des 
        Gebildes einschlugen, das heute die Europäische Union darstellt. 
        Aber auch das in Nordamerika im Jahre 1994, zum Zeitpunkt der Gründung 
        der NAFTA, existierende Interdependenzniveau ist noch mcnt erreicht. Dennoch, sowohl die Politiker als auch die Bürger im Mercosur, und, 
        dies besonders, jene, die Ersparnisse in die Region investiert und eingebracht 
        haben, haben heute das Gefühl, im gleichen Boot zu sitzen. Das, was 
        in den Volkswirtschaften der jeweils anderen Länder geschieht, spiegelt 
        sich sogar in dem Übertragungseffekt wider, den dies auf die Wirtschaft 
        des jeweils einzelnen Landes hat. Dies ist in besonderem Maße der 
        Fall, wenn das in Schwierigkeiten befindliche Land eines der größeren 
        ist. Was das "Risikoland" (riesgo pais) betrifft, so darf der 
        Integrationsprozess der Märkte als abgeschlossen angesehen werden, 
        und dies auch trotz des Strebens nach Differenzierung, das jeweils in 
        kritischen Situationen aufkommt. Sich auf dieser Ebene einen Rückschritt vorzustellen, d.h. einen 
        Rückzug auf das Niveau einer niedrigeren Stufe der Interdependenz, 
        ist nicht einfach. Was dagegen vorstellbar ist, sind Veränderungen 
        im Bereich der Interdependenz auf regionaler Ebene. Die in der eigenen 
        Region gemachten Erfahrungen -vor der Verkündigung des Integrations- 
        und Kooperationsprogramms zwischen Argentinien und Brasilien sowie dem 
        später erfolgten Start des Mercosur -, aber vor allem die Erfahrungen 
        anderer internationaler Subsysteme, wie in der Vergangenheit des europäischen 
        und in der Gegenwart desjenigen im Nahen Osten, verdeutlichen, dass die 
        Situation einer wachsenden Interdependenz innerhalb einer Gruppe von Ländern, 
        die sich den gleichen geographischen Raum teilen, sowohl ein überwiegend 
        konfliktives als auch ein überwiegend kooperatives Potenzial in sich 
        bergen kann. Der nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Nutzen 
        ist äußerst hoch, wenn eine überwiegend konfliktive Form 
        zugunsten einer überwiegend kooperativen Form der Interdependenz 
        aufgegeben wird. Dies belegt die europäische Erfahrung der letzten 
        fünfzig Jahre, zumal dann, wenn diese in Vergleich zu der der vorhergehenden 
        Jahrhunderte gesetzt wird. Auch dies kann wiederum nicht nur in Kategorien 
        von Handelsflüssen oder der Entwicklung gemeinsamer Projekte im Bereich 
        der physischen Infrastruktur gemessen werden. Auf einer zweiten Ebene, derjenigen der strategischen Idee, lässt 
        sich im Verlaufe der vergangenen fünfzehn Jahre eine größere 
        Kontinuität und Dauerhaftigkeit der politischen Führung in der 
        heute als Mercosur bezeichneten Region beobachten. Dies ist vielleicht 
        der wesentliche Beitrag der so genannten präsidialen Diplomatie zum 
        Aufbau des Mercosur als Raum der Integration und der Solidarität 
        seiner Mitgliedsländer untereinander gewesen. Diese Beobachtung wurde 
        jeweils zum Zeitpunkt der Gründung in den Jahren 1986 und 1990 gemacht. 
        Sie wurde jedoch besonders auch in Krisensituationen gemacht, wie z.B. 
        zur Zeit der Krise im Automobilsektor des Jahres 1995, in den durch die 
        Rezension geprägten Jahren 1998 bis 1999 und selbst in jüngster 
        Zeit, als Argentinien sich, wie in der Vergangenheit auch Brasilien in 
        ähnlicher Form, zur Ergreifung von Ausnahmeschritten gezwungen sah. Eine ausführliche Untersuchung der genannten Geschehnisse, die aus 
        naheliegenden Gründen den Rahmen der vorliegenden Erörterungen 
        sprengen würde, würde deutlich machen, dass die politische Führung 
        in allen Fällen einer Verfolgung der strategischen Richtung den Vorrang 
        vor den besonderen Umständen eines Augenblicks oder eines bestimmten 
        Konfliktes eingeräumt hätte. Hierbei fallen zwei entscheidende 
        Wesensmerkmale des präsidentiellen Führungskonzepts ins Auge: 
        Die aus langfristiger Sicht erfolgte Einordnung der Bewertung jeder spezifischen 
        Situation in den weiteren Rahmen der im regionalen und globalen Strategieplan 
        übereinstimmenden Interessen sowie die Anerkennung der Tatsache, 
        dass das "Wichtigste für das gemeinsame Vorhaben die wirtschaftliche 
        und politische Gesundheit (Demokratie, Wachstum und wirtschaftliche Stabilität) 
        der jeweils einzelnen Mitgliedsländer ist. Dies hat die politische 
        Führung dazu bewogen, im Falle eines von ernsthaften Schwierigkeiten 
        bedrohten Partnerlandes mit großer Umsicht zu agieren, d.h. die 
        gefundenen Kompromisse nötigenfalls flexibel zu handhaben oder das 
        Fortschrittstempo bei der Gestaltung des wirtschaftlichen Integrationsprozesses 
        anzupassen. Aber auch auf dieser Ebene der strategischen Idee lassen sich 
        jenseits der Übereinstimmung in allgemeinen Fragestellungen unterschiedliche 
        Vorstellungen der Partnerländer feststellen, was die Fragen nach 
        den bevorzugten Schwerpunktsetzungen sowie nach dem Verhandlungsspielraum 
        angeht, den die jeweils anderen Parteien zur Verfolgung ihrer jeweiligen 
        strategischen Interessen haben. Für bestimmte Momente hat das Gefühl 
        möglicher fehlender Loyalität, fehlender Alternativen oder Fehleinschätzungen 
        über die tatsächliche Verteilung von Kosten und Nutzen - z.B. 
        die ausschließliche Berücksichtigung der globalen Handelsbilanzsalden 
        - bei dem ein oder anderen Partnerland dazu beigetragen, das Bewusst-sein 
        für die Existenz einer im Grunde von allen Partnern getragenen oder, 
        dies zumindest, einer für alle Partner kompatiblen Strategie zu trüben. 
        Auf die Ebene der in den jeweiligen Partnerländern herrschenden öffentlichen 
        Meinung übertragen, bedeutet dies, dass als Konsequenz in der aufgeheizten 
        Stimmung einer Krisensituation bisweilen eher eine Kultur des Konflikts 
        als eine der Kooperation gefördert wird. Hierin liegt eines der Probleme, 
        die in Zukunft ein höheres Maß an Aufmerksamkeit erfordern, 
        wenn die Ursprungsidee des Mercosur gestärkt werden soll. Die Tatsache, dass auf dem Feld der politischen Führung eine große 
        Kontinuität in der Unterstützung der strategischen Idee zu beobachten 
        ist, bedeutet indes nicht, dass im Bereich der jeweiligen nationalen Wirtschaftspolitik 
        stets die Konsequenzen aus den auf regionaler Ebene gefundenen Kompromissen 
        gezogen worden sind. Im Gegenteil, der wachsende Bedeutungsverlust der 
        regelmäßigen Treffen - die nicht einmal mehr als solche bezeichnet 
        werden können - der Wirtschaftsminister und Zentralbankpräsidenten 
        als impulsgebender Mechanismus des Mercosur könnte als offenkundiges 
        Indiz einer beträchtlichen Kluft zwischen der jeweils konkreten Wirtschaftspolitik 
        eines jeden Partnerlandes und der Aufbaustrategie des Mercosur angesehen 
        werden. Abgesehen von der Anfangsphase, in der die halbjährlich stattfindenden 
        Treffen der Wirtschaftsminister und Zentralbankpräsidenten tatsächlich 
        eine treibende Kraft darstellten, scheinen die Wirtschaftsminister in 
        der Folgezeit - und daran besteht kein Zweifel - Abstand davon genommen 
        oder möglicherweise das Interesse daran verloren zu haben, unmittelbar 
        beim Aufbauprozess des Mercosur zu intervenieren. Lediglich in Krisenzeiten 
        kam es ihrerseits zu einer Intervention. Dies kann sogar das offenkundige 
        Ausbleiben von Fortschritten auf dem Gebiet der Koordination makroökonomischer 
        Maßnahmen in der Politik, insbesondere in der Zeit nach dem Gipfel 
        von Ouro Preto, erklären. Aber es kann u.a. auch den fortschreitenden 
        Niedergang des Mercosur als formaler Prozess sowie seiner Mechanismen 
        erklären. Der formale Prozess und seine MechanismenAuf einer dritten Ebene, der des formalen Prozesses und seiner Mechanismen, 
        lassen sich ein eher unbeständiger Fortschritt sowie bescheidene 
        Ergebnisse beobachten. Zwar gab es eine erste Phase, in der ein rascher 
        Fortschritt möglich schien, jedoch endete diese in einer relativen 
        Lähmung sowie in einer Effektivitätskrise der vertraglich vereinbarten 
        Mechanismen. Es ist die Phase des PICAB (Anm.d.Ü.: Programa de Integraciön 
        y Cooperation Econömica entre Argentina y Brasil / Programm für 
        Integration und Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Argentinien und 
        Brasilien), die 1988 nach zwei Jahren des Funktionierens gemäß 
        dem Libreto ins Stocken geriet, was in hohem Maße die Folge der 
        politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in den beiden wichtigsten 
        Ländern, Argentinien und Brasilien, war. Der Großteil der im 
        bilateralen Integrationsvertrag von 1988 gefundenen Kompromisse erinnert 
        eher an die lateinamerikanische Praxis der Integration als Fiktion (integraciön-ficciön) 
        als an einen glaubhaften Versuch, Fortschritte auf dem Weg hin zu einem 
        tatsächlichen gemeinsamen Markt zu erzielen. Nach der ersten gab 
        es eine zweite, starke Impulse ausstrahlende Phase, deren Beginn mit der 
        Unterzeichnung des Vertrags von Asuncion anzusetzen ist und die sich bis 
        zur internationalen und regionalen Wirtschaftskrise der Jahre 1998 und 
        1999 hinzog. Zu verdanken ist diese Phase teilweise einem sowohl internen 
        als auch internationalen Klima, das derlei Initiativen in den beiden Partnerländern 
        mit der größeren wirtschaftlichen Ausdehnung begünstigte, 
        aber in hohem Maße auch dem Automatismus des Freihandelsprozesses 
        selbst, der schließlich auch zur Öffnung des argentinischen 
        und des brasilianischen Handels führte.
 Im Anschluss an diese Phase begann eine dritte, deren Wurzeln vielleicht 
        im Konzept des Mercosur selbst liegen, in Entscheidungen, die in Ouro 
        Preto (beispielsweise in Fragen der nichttarifären Beschränkungen 
        oder des Schutzes von Rechten) ge-fasst oder auch nicht gefasst wurden, 
        aber auch im Ausbleiben von Fortschritten im Bereich der makroökonomischen 
        und sektoralen Koordination, und die sich mindestens bis zum ersten Quartal 
        des Jahres 2001 erstreckte. Es ist dies eine Periode, in der institutionelle 
        Mängel ebenso offenbar wurden wie die schlechte Qualität der 
        Spielregeln und die zunehmende Schwächung der wirtschaftlichen Präferenzen 
        sowie der Gemeinschaftsdisziplin; alles Elemente, deren Stabilität 
        bei dieser Art freiwilliger Integrationsprozesse souveräner Nationen 
        wesentlich ist. Das BildAuf einer vierten Ebene schließlich, der des Bildes, das Bürger, 
        Investoren und Drittländer vom Mercosur haben, lässt sich eine 
        starke Wechselbeziehung mit der Entwicklung des Prozesses selbst und seiner 
        Mechanismen beobachten. In den ersten zwei Jahren des PICAB sowie in der 
        ersten Phase des Mercosur war dieses Bild äußerst positiv. 
        Im Jahre 1995, mit der Überwindung der Auswirkungen der Tequila-Krise, 
        wurde hier gar ein Höhepunkt erreicht. Zu verdunkeln begann sich 
        das Bild im Zeitraum von 1998 bis 1999, insbesondere im ersten Quartal 
        des Jahres 1999, als die fehlende Funktionalität des formalen Prozesses 
        und seiner Mechanismen mit aller Deutlichkeit offenbar wurde und sich 
        die Probleme zu erkennen gaben, die auf dem Gebiet des wechselseitigen 
        Handels sowie dem der internationalen Handelsgespräche, insbesondere 
        im Bereich der ALADI (Anm. d.U.: Asociacion Latinoamericana de Integraciön 
        / Lateinamerikanische Vereinigung für Integration), entstanden sind.
 Von dieser Zeit an wurde der Mercosur zunehmend als Teil der Probleme, 
        nicht aber der Lösungen wahrgenommen. Konflikte und Krisensituationen 
        häuften sich und das Bild eines zum Stillstand gekommenen Prozesses 
        begann Konturen anzunehmen; ein Bild, das bis heute fortbesteht. Man trat 
        in einen Teufelskreis ein, der nach deren erfolgreichem Start auch bei 
        der Andengruppe registriert worden war: Einen Teufelskreis aus einer weitgehenden 
        Unwirksamkeit der Spielregeln, die in der Wirklichkeit nicht griffen, 
        einer niedrigen Effizienz, da die erhofften Ergebnisse nicht erzielt wurden, 
        eines Verlustes an Glaubwürdigkeit, da Bürger, Investoren und 
        Drittländer an der Durchführbarkeit des Prozesses zu zweifeln 
        begannen, sowie schließlich eines Schwindens seiner Anziehungskraft. 
        Die von Chile geäußerten Zweifel daran, ob eine Vollmitgliedschaft 
        im Mercosur dem eigenen Land überhaupt dienlich sei, sowie die in 
        einigen Mitgliedsländern beobachteten Zentrifugalkräfte, die 
        sogar zur positiven Einschätzung eines möglichen Szenarios im 
        Sinne eines ALCA sin Mercosur" (Anm.d.Ü.: Area de Libre Comercio 
        de las Americas sin Mercosur / Transamerikanische Freihandelszone ohne 
        Mercosur) führten, sind aus der Perspektive des Attraktivitätsverlustes 
        eben dieses Mercosur, der das erste Quartal des Jahres 2001 prägte, 
        heraus zu untersuchen. Im Mercosur dieser letzten Phase lässt sich, so scheint es, das 
        beginnende, obgleich bei einigen Mitgliedsländern forcierte Eindringen 
        des Virus der fehlenden gesellschaftlichen Legitimität beobachten, 
        und zwar in dem Maße, in dem Zweifel daran aufkamen, ob die Partnerschaft 
        getragen ist durch ein von Gewinn und Gegengewinn geprägtes Fundament 
        und ob es von daher ratsam ist, die laufende Entwicklung in ihrer derzeitigen 
        Form weiter zu führen. Die ursprüngliche Idee, so scheint es, 
        wurde nicht hinterfragt. Dagegen wurden die Charakteristika und die Fortschritte 
        des formalen Prozesses und seiner Mechanismen durchaus zunehmend in Frage 
        gestellt. Immer häufiger konnte man Sätze hören, die übertrieben 
        zu sein schienen, die indes das Gefühl zum Ausdruck brachten, der 
        Mercosur ist tot (zumindest als strategisches Instrument zur Durchführung 
        der komplexen internationalen Handelsgespräche innerhalb des ALCA) 
        oder in seiner jetzigen Form ist er zu nichts nutze (zumindest als strategisches 
        Instrument zur Anziehung von Investitionen in alle Mitgliedsländer 
        oder zur Inangriffnahme der Transformation im Produktionssektor unter 
        Beachtung der sozialen Gerechtigkeit). In diesem Zusammenhang lässt sich sogar ein Problem des Marketing 
        der Realität des Mercosur ausmachen, das in dem Moment auftritt, 
        wenn das technisch fragwürdige Konzept der unvollkommenen Zollunion 
        (union aduanera imperfecta) missbraucht wird. Weder im Falle der NAFTA, 
        die weit davon entfernt ist, die Freihandelszone abschließend verwirklicht 
        zu haben, noch im Falle der Europäischen Gemeinschaft, die lange 
        Zeit benötigte, bevor sie ihr Ziel eines gemeinsamen Marktes oder 
        gar eines Einheitsmarktes gänzlich erreichte, findet sich die von 
        Führungsfiguren und fachkundigen Analysten verwandte Bezeichnung 
        unvollkommen für ihre jeweiligen Freihandelszonen, ihre Zollunion 
        oder ihren Einheitsmarkt. Das, was es sehr wohl gab, war eine Übergangsphase 
        hin zur einer Zollunion; eine Idee, die durchaus mit dem Regelwerk der 
        WTO im Einklang steht. All dies erzeugt eine Situation, die sich teilweise auf den wechselseitigen 
        Handel auswirkt, die ihre Auswirkungen jedoch vor allem auf die Ausrichtung 
        der Investitionen innerhalb des erweiterten Wirtschaftsraumes hat, und 
        somit die Folge einer ständigen Aushöhlung des Prinzips der 
        Vorhersehbarkeit bei den Spielregeln zur Gestaltung unternehmerischer 
        Entscheidungen und Strategien darstellt. Je mehr die Zielsetzungen des 
        Mercosur in Zweifel gezogen werden, beispielsweise durch den Beginn einer 
        Debatte darüber, ob eine Rückentwicklung zu einer Freihandelszone 
        sinnvoll sei, ob eine Festigung der Zollunion als Vorstufe eines gemeinsamen 
        Marktes anzustreben sei oder ob - vorausgesetzt, dies wäre rechtlich 
        möglich - eine Pause auf dem Weg der Kompromisssuche eingelegt werden 
        solle, desto mehr würde ein Klima der Unsicherheit und der Unentschlossenheit 
        erzeugt, das sich unweigerlich auf die Pläne der Unternehmer sowie 
        auf die Ausrichtung der für den erweiterten Markt bestimmten Investitionen 
        auswirken würde. Zehn Jahre nach seinem Start hat der Mercosur als regionale Realität 
        sowie als strategische Idee nach wie vor seine Kraft und Geltung. Jedoch 
        werden zunehmend Zweifel an seiner tatsächlichen Fähigkeit laut, 
        als Instrument zur gemeinschaftlichen Verhandlung mit Drittländern 
        oder als Instrument zur Anziehung von Investitionen in alle Mitgliedsländer 
        zu dienen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Mercosur 
        als Prozess mit seinen Mechanismen sowie als Bild offensichtliche Mängel 
        aufweist. Dennoch hat es in Integrationsprozessen dieser Art Lerneffekte 
        hinsichtlich der Frage gegeben, wie Fortschritte erzielt und wie sie nicht 
        erzielt werden können. Soll der Stillstand des formalen Prozesses und die Eintrübung des 
        über den Mercosur bestehenden Bildes überwunden und soll die 
        Anpassung an neue internationale und interne Realitäten vorgenommen 
        werden, denen sich die Mitgliedsländer gegenüber sehen, so ist 
        jetzt ein starker politischer Impuls erforderlich. In diesem Sinne sollten 
        die gemachten Erfahrungen in nutzbringendes Kapital umgewandelt werden, 
        um zu verhindern, dass der Niedergang des Prozesses nebst seinen Mechanismen 
        die Qualität und Form der erzielten Interdependenz beeinträchtigt, 
        die sich auf jeden Fall ausweiten wird.  Drei zentrale Fragen hinsichtlich der bisherigen Erfahrungen Drei zentrale Fragen sind es zunächst, die sich rückblickend 
        auf die zehnjährige Erfahrung des Mercosur stellen. Sie lauten: Welche Lehren können im Hinblick, auf die wesentlichen Fragen nach 
        der Vorgehensweise bei der freiwilligen Integration souveräner Nationen 
        gezogen werden? Welche Szenarien sind mit Blick auf die Zukunft des Mercosur unter besonderer 
        Berücksichtigung der Verhandlungen über den ALCA (Anm.d.Ü.: 
        Area de Libre Comercio de las Americas / Transamerikanische Freihandelszone) 
        sowie mit der Europäischen Union vorstellbar? Welche Fragen können von zentraler Bedeutung für den künftigen 
        Aufbau eines Mercosur sein, der den Zielen aller seiner Mitgliedstaaten, 
        also der Konsolidierung der Demokratie und der Beschleunigung der Produktionsumwandlung 
        im Rahmen gesellschaftlicher Solidarität sowie der Einbringung der 
        eigenen Wettbewerbsfähigkeit in die Weltmärkte, dient? Vorgehensweisen bei der IntegrationIn Bezug auf die erste Frage verdienen drei grundlegende Fragestellungen 
        nach der Vorgehensweise bei der Integration besondere Aufmerksamkeit. 
        Es sind die Fragestellungen, auf die sich die Reflexions- und Handlungsanstrengungen 
        der Hauptakteure und Fachleute konzentrieren sollten.
 Die erste Fragestellung ist die nach der Effizienz, d.h. danach, wie 
        eine höchstmögliche Annäherung an die ursprünglich 
        angestrebten Ergebnisse sowie an die Zielsetzungen erfolgen kann, die 
        sich aus dem Aufbau einer Plattform ergeben, die einem verbesserten Wettbewerb 
        sowie einer verbesserten Verhandlungsführung in einer globalisierten 
        Welt dient, in der die nationale Identität eines jeden Mitgliedslandes 
        erhalten bleibt. Es ist eine Frage nach der Neudefinition der Struktur 
        des Prozesses sowie einiger seiner Mechanismen und Spielregeln mit dem 
        Ziel, dessen Effektivitätspotenzial, also dessen Verwertbarkeit in 
        der Wirklichkeit, zu steigern. Diese Frage steht in direktem Zusammenhang 
        mit der Frage danach, wie eine dynamische Konzertation der beteiligten 
        nationalen Interessen entwickelt werden kann, um zu erreichen, dass die 
        Mechanismen und Spielregeln in einem von Gewinn und Gegengewinn geprägten 
        Fundament verankert sind und nicht als Eigenmechanismen eines Nullsummenspiels 
        wahrgenommen werden. Die zweite Frage ist die nach der Glaubwürdigkeit des Mercosur im 
        Bewusstsein von Investoren und Drittländern, also danach, wie ernst 
        der Mercosur sowohl als Prozess als auch als Gesamtheit seiner Mechanismen 
        durch denjenigen genommen werden kann, der Investitionsentscheidungen 
        trifft und unternehmerische Strategien entwirft, und der diesen Mercosur 
        als seriösen Gesprächspartner in den internationalen Beziehungen 
        sowie bei der Aufnahme internationaler Handelsgespräche bewertet. 
        Das kollektive Gedächtnis hinsichtlich der lateinamerikanischen Tradition 
        einer Integration als Fiktion" (inte-graciön-ficciön) - 
        d.h. eine Rhetorik, die die Wirklichkeit nicht erfasst bzw. Verpflichtungen, 
        die sich in Luft auflösen oder schlichtweg nicht erfüllt werden 
        -, wirkt sich auf die Empfindungen aus, die Bürger, Investoren und 
        Drittländer bei der Bewertung der Verpflichtungen des Mercosur haben, 
        und macht diese überaus sensibel für jedes Anzeichen einer Schwächung 
        der Bereitschaft, die gesteckten Ziele zu erreichen. Die Glaubwürdigkeit 
        wird also in hohem Maße von der Wirksamkeit der Mechanismen und 
        Spielregeln abhängen. Die dritte Fragestellung ist die nach der gesellschaftlichen Legitimität, 
        d.h. nach der Wahrnehmung des Mercosur in der öffentlichen Meinung 
        eines jeden Landes. Es ist die Frage danach, wie relevant der Mercosur 
        ist, um auf ihre Erfordernisse, Vorhaben und Interessen zu reagieren, 
        d.h. auf die drängendsten Probleme der politischen, wirtschaftlichen 
        und sozialen Agenda des jeweiligen Landes. Anders ausgedrückt, es 
        ist die Frage nach der tatsächlichen Aufteilung von Kosten und Nutzen 
        des Integrationsprozesses unter den Mitgliedsländern vor dem Hintergrund 
        ihrer nationalen Zielsetzungen und Interessen, und dies vor allem, wenn 
        man das ausgesprochene Ungleichgewicht innerhalb der bestehenden wirtschaftlichen 
        Dimension in Betracht zieht. Dies führt dazu, die Frage nach den 
        Unkosten des Mercosur, so wie dieser konzipiert und ausgestattet ist, 
        zu stellen und in Relation zu anderen Möglichkeiten der wirtschaftlichen 
        Präsentation auf internationaler Bühne oder zu anderen möglichen 
        Formen des wirtschaftlichen Integrationsprozesses zu setzen. In der Praxis 
        ist es die Frage danach, wer in der in einigen der Mitgliedsländer 
        mit immer stärkerer Akzentuierung geführten Debatte unterliegt, 
        in der es einerseits um den Mercosur als Prozess mit seinen Mechanismen 
        und andererseits um den ALCA bzw. um andere vorstellbare Varianten einer 
        speziellen und präferenziellen Beziehung zu den Vereinigten Staaten 
        geht. Nur in dem Maße, in dem dies in Rechnung gestellt wird, werden 
        die Reichweite und der Sinn dieser Debatte verständlich sein. Nur 
        ein Mercosur, der als Prozess und als Gesamtheit seiner Mechanismen wieder 
        Attraktivität gewinnt, wird nicht als Option gewertet werden, sondern 
        als unvermeidlicher Weg, über eine alle beteiligten nationalen Interessen 
        zufrieden stellende Freihandelszone auf dem amerikanischen Kontinent (ALCA) 
        zu verhandeln, in welcher Form diese auch immer zu verwirklichen wäre. 
        Von der gesellschaftlichen Legitimität werden letztlich auch die 
        Tragfähigkeit und die Effizienz des formalen Prozesses der wirtschaftlichen 
        Integration sowie seiner Mechanismen und Spielregeln abhängen. Die gemachten Erfahrungen geben zu erkennen, dass es bei einem freiwilligen 
        Integrationsprozess souveräner Nationen, die keinesfalls eine Aufgabe 
        ihrer Souveränität beabsichtigen, politisch notwendig ist, vorrangig 
        Antworten auf die Fragen der Effizienz, der Glaubwürdigkeit und der 
        Legitimität zu geben. Dies ist nicht ohne eine Verfeinerung der Konzertationsmechanismen 
        zu erreichen, die es ermöglichen, in dynamischer Form die Wechselseitigkeit 
        der nationalen Interessen als Stützpfeiler der Partnerschaft zu bewahren 
        und gleichzeitig Spielregeln festzulegen, die tatsächlich befolgt 
        werden können. Dies bedeutet, ein gutes Maß an Rechtssicherheit 
        und Vorhersehbarkeit mit der ausreichenden Flexibilität zur Bewältigung 
        der Veränderungen bei den nationalen und internationalen Gegebenheiten 
        miteinander in Einklang zu bringen. Es bedeutet aber auch eine starke 
        politische Führung sowie die notwendige Beteiligung der Zivilgesellschaft 
        bei der Definition der nationalen Interessen, die im Kontext des Gemeinschaftsprojekts 
        betroffen sind. Es handelt sich also um einen Prozess, der ununterbrochen 
        in Gang gehalten werden muss durch Anregungen und Initiativen, die in 
        der Wirklichkeit verwurzelt sind. Die größte Verantwortung 
        hierbei kommt vor diesem Hintergrund den Ländern zu, die mit genügenden 
        Machtressourcen ausgestattet sind, um eine Führungsrolle zu übernehmen. 
        Sollte dies nicht gewährleistet sein, verliert ein derartiger Prozess 
        an Dynamik und gelangt schließlich zum Stillstand, wie die Erfahrungen 
        Europas und der ehemaligen Andengruppe, jede auf ihre Weise, beweisen. Mögliche SzenarienWas die zweite Fragestellung betrifft, so kann man von mindestens 
        drei Tendenzen bezüglich möglicher Zukunftsszenarien des Mercosur 
        ausgehen. Hierbei sind selbst Kombinationsformen dieser verschiedenen 
        Szenarien denkbar.
 
         
        a) Die BedeutungslosigkeitDie erste mögliche und keineswegs unwahrscheinliche Tendenz ist 
          diejenige hin zu einer kontinuierlichen Erlahmung des Prozesses, seiner 
          Mechanismen sowie des von ihm bestehenden Bildes, also eines schrittweisen 
          Übergangs zu einer wachsenden Bedeutungslosigkeit, was die Agenda 
          sensibler Fragen aller oder einiger Mitgliedsländer betrifft. Eswäre 
          dies ein Szenario, das man als "aladificacion" (Anm.d.Ü.:Aladifizierung", 
          d.h. Umwandlung im Sinne der ALADI, Asociaciön Latinoamericana 
          de Integracion / Lateinamerikanische Vereinigung für Integration) 
          des Mercosur bezeichnen könnte: Zwar würde letzterer als Prozess 
          weiterbestehen, jedoch würden sich seine Verpflichtungen verflüchtigen 
          und in den Augen der Bürger, Investoren und Drittländer an 
          Effizienz verlieren, auf deren Entscheidungen und Strategien er somit 
          auch keine nennenswerten Auswirkungen mehr hätte. Im Falle eines 
          solchen Szenarios würde der Mercosur sogar noch als formaler Prozess 
          fortbestehen, sähe sich jedoch gemeinsam mit so vielen anderen 
          lateinamerikanischen Integrationserfahrungen in eine Art Museum der 
          Unbedeutsamkeiten verbannt. Niemand würde mehr nach ihm fragen. 
          Ein Szenario also, das sich auf die Zielsetzungen einer von kooperativer 
          Interdependenz geprägten Region funk-tionsstörend auswirken 
          kann, und dies nicht nur im Bereich des Mercosur selbst, sondern auch 
          im gesamten südamerikanischen Bereich. Die ursprüngliche strategische 
          Idee würde somit ein Opfer der Erosion.
 b) Die AuflösungDie zweite mögliche und ebenfalls relativ wahrscheinliche Tendenz 
          ist die in Richtung einer Auflösung des Mercosur im weiteren und 
          undifferenzier-teren Umfeld einer möglichen Integration der gesamten. 
          Hemisphäre in einer der Varianten des ALCA. Ein solches Szenario 
          könnte auch neben dem oben genannten bestehen. Es könnte das 
          Ergebnis eines - de facto oder de jure - umgewandelten Mercosur in eine 
          Art Freihandelszone sein. Der gemeinsame Außenzoll hätte 
          sich hierbei aufgelöst, besonders im Hinblick auf sein Hauptelement, 
          d.h. die Frage der Gemeinschaftsdisziplin im Bereich der Zollpolitik. 
          Jedes Land würde sich somit als Einzelgebilde in eine große, 
          die gesamte Hemisphäre umfassende Freihandelszone eingliedern. 
          Der Mercosur würde als Wirtschaftsregion fortbestehen. Der Prozess 
          mit seinen Mechanismen als solcher würde jedoch durch den Prozess 
          und seine Mechanismen abgelöst werden, der auf der Ebene der gesamten 
          Hemisphäre in Gang gebracht würde. Dieses Szenario könnte 
          seinerseits das Resultat der laufenden ALCA-Verhandlungen oder der Umwandlung 
          des ALCA in ein Netz von Freihandelsabkommen sein, dessen wirtschaftliches 
          Epizentrum auf Hemisphärenebene die Vereinigten Staaten wären. 
          Dessen derzeitige Mitglieder könnten ggf. Freihandelsabkommen mit 
          der Europäischen Union aushandeln, so wie es bereits Mexiko getan 
          hat und so wie es Chile zu tun beabsichtigt. Die Auswirkungen solcher 
          Verhandlungen auf die südamerikanische Interdependenz sind schwer 
          vorhersagbar, könnten jedoch möglicherweise denen gleichen, 
          die sich im Falle eines Szenarios der Bedeutungslosigkeit zeigen würden. 
          Auch in diesem Falle würde die ursprüngliche strategische 
          Idee ein Opfer der Erosion.
 c) Die KonsolidierungDie dritte mögliche und eher unwahrscheinliche Tendenz würde 
          jene hin zu einer Erneuerung und Festigung des Mercosur-Prozesses und 
          seiner Mechanismen als eines regionalen und institutionalisierten Subsystems 
          mit zunehmend südamerikanischer Dimension sein. Es ist das Szenario, 
          das seitens der Regierungen offiziell bevorzugt wird und das mit den 
          auf dem letzten Südamerikanischen Gipfel in Brasilia gesteckten 
          Zielsetzungen in positive Verbindung gebracht wird. Es wäre das 
          Szenario eines ernst zu nehmenden" Mercosur; eines Mercosur mit 
          Präferenzen, Disziplin und Spielregeln, die tatsächlich eingehalten 
          werden und die die Interessen aller Mitgliedsländer berücksichtigen. 
          In diesem Falle stünde der Mercosur als Prozess mit seinen Mechanismen 
          für Verpflichtungen, die über jenen anzusiedeln sind, die 
          gegenüber dem ALCA eingegangen würden. Er würde zudem 
          sein Potenzial behalten, gleichzeitig konkrete Freihandelsverhandlungen 
          mit der Europäischen Union zu führen. Und schließlich 
          würde er einen entscheidenden Beitrag zur gesellschaftlichen Legitimität 
          der sowohl innerhalb der Hemisphäre als auch auf transatlantischer 
          Ebene geführten Handelsverhandlungen leisten. Es wäre das 
          Szenario, das in der Tradition der ursprünglichen strategischen 
          Idee stünde, die zum PICAB und später zum Prozess des Mercosur 
          geführt hatte.
 Der kommende AufbauIn Bezug auf die dritte Fragestellung ist die Frage nach dem zu beantworten, 
        was in eine Agenda der Erneuerung und Konsolidierung des Mercosur ais 
        Prozess und als Gesamtheit seiner Mechanismen und Spielregeln sinnvollerweise 
        aufgenommen werden soll, wenn diese Spielregeln die Interessen eines jeden 
        Mitgliedslandes an der Schaffung eines regionalen Umfelds widerspiegein 
        sollen, das deren jeweilige Anstrengungen zur Stärkung der Demokratie, 
        zur wirtschaftlichen Modernisierung, zur Förderung des gesellschaftlichen 
        Zusammenhalts sowie zur Einbringung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit 
        in eine globalisierte Welt unterstützt. Es ist dies das ursprünglich 
        für den Mercosur gedachte Szenario und, meiner Meinung nach, immer 
        noch das Szenario, das aus dem Blickwinkel der nationalen Interessen der 
        einzelnen Mitgliedsländer heraus bevorzugt werden sollte. Schließlich 
        ist es auch das Szenario, das den größten Beitrag zur Entwicklung 
        von politischer Stabilität und Demokratie im südamerikanischen 
        Raum leisten kann.
  Schlussfolgerungen: die Felder des bevorzugten Handlungsbedarfs für 
        einen möglichen und wünschenswerten Mercosur Zehn Jahre Erfahrung werfen ein Licht auf die Frage, wie die Situation 
        bewältigt werden kann, in der sich der Mercosur zu Beginn des Jahres 
        2001 befindet, und wie dessen zukünftige Entwicklung sichergestellt 
        werden kann. Dieses Licht erhellt auch den Weg zum anstehenden Aufbau 
        des strategischen Bündnisses zwischen Argentinien und Brasilien. 
        Wie der uruguayische Historiker Alberto Methol Ferre) zu Recht hervorgehoben 
        hat, stellt der Mercosur das Resultat eben dieses Bündnisses dar, 
        das nach wie vor dessen Rückgrat bildet. Die positiven Ergebnisse brauchen kaum in Erinnerung gerufen zu werden. 
        Sie haben ihren Niederschlag in einer Steigerung des Handels und der Investitionen 
        gefunden, aber auch in einem Bild des Mercosur, das zeitweise äußerst 
        attraktiv war. Sie haben eine regionale Wirklichkeit gegenseitiger Interdependenz 
        - im Positiven wie auch im Negativen - geschaffen, die kaum umkehrbar 
        ist, wie immer auch das künftige Schicksal des formalen Prozesses 
        der wirtschaftlichen Integration aussehen mag. Die vielen erzielten Erfolge 
        über Bord zu werfen und die strategischen Zielsetzungen zurückzuschrauben, 
        bedeutete einen Rückschlag für die vielen Investoren, die die 
        von der Regierung nach Abschluss des Vertrags von Asunciön ausgesandten 
        Signale ernst genommen haben, denen zufolge sie sich den Zugang zu mehr 
        als 200 Millionen Verbrauchern erhofft hatten. Es bedeutete darüber 
        hinaus eine Beeinträchtigung der von den Investoren erworbenen und 
        die einzelnen Mitgliedsländer formal bindenden Rechte sowie, dies 
        besonders, eine Beeinträchtigung der internationalen Glaubwürdigkeit 
        der vier Länder. Andererseits ist es aber auch, wie bereits zuvor dargelegt, notwendig 
        einzugestehen, dass der Mercosur als formaler Integrationsprozess eine 
        Periode der Unsicherheit, ja sogar des Stillstands, durchläuft. Dies 
        hat zur Folge, dass das Projekt an Glaubwürdigkeit, an Attraktivität 
        sowie an Effizienz einbüßt. Selbst die Legitimität in 
        den Augen der Öffentlichkeit kann verloren gehen. Dies alles schmälert 
        sein Potenzial zur Anziehung von Investitionen und beeinträchtigt 
        seine Fähigkeit, als brauchbare Plattform zu fungieren, die dem Wettbewerb 
        und der Verhandlungsführung in der Welt dient. Eine derartige Situation 
        ist, falls sie sich verlängern sollte, niemandem der Mitgliedsländer 
        gelegen, erst recht nicht denen mit geringerer Wirtschaftskraft. Der Mercosur 
        würde in einer solchen Lage an Bedeutung verlieren und sich in den 
        Verpflichtungen auflösen, die dann im Rahmen des ALCA, in welcher 
        seiner Varianten auch immer, übernommen würden. Dies wiederum 
        würde zu einer Verstärkung jener Fragmentierungs-tendenzen führen, 
        die im regionalen südamerikanischen Raum bereits zu beobachten sind. 
        Vom politischen und strategischen Standpunkt aus gesehen, wird ein solches 
        Szenario selbst den Vereinigten Staaten nicht genehm sein, führt 
        man sich die wachsenden Schwierigkeiten vor Augen, die sich im Hinblick 
        auf die politische Stabilität einiger der südamerikanischen 
        Länder zeigen. Am Vorabend komplexer Verhandlungen im ALCA sowie mit der Europäischen 
        Union und ggf. auch mit der WTO ist ein ernst zu nehmender" Mercosur, 
        mit einer gelungenen Kombination aus Flexibilität und Berechenbarkeit, 
        mit wenigen qualitativ hochwertigen Spielregeln und Institutionen, die 
        diese Verhandlungen flankieren, immer noch die beste Option, die die vier 
        Mitgliedsländer haben, um die anspruchsvolle Welt der Globalisierung 
        und der großen regionalen Blöcke, der hohen finanziellen Volatilität 
        und der Wettbewerbsvorteile in den Griff zu bekommen. In der richtigen 
        Form konzipiert, kann der Mercosur sowohl unter den Mitgliedsländern 
        als auch innerhalb dieser Länder einen Dis-ziplinierungseffekt hervorrufen, 
        der besonders die makroökonomischen Schritte in der Politik wie den 
        Außen- und Sektoralhandel betrifft. Ein solcher Dis-ziplimerungseffekt 
        war auch einer der wesentlichen Beiträge der Europäischen Union 
        zur Entwicklung eines von Stabilität, Demokratie und wirtschaftlicher 
        Modernisierung geprägten Raumes, der aus dem harten deutsch-französischen 
        Kern sowie, seit den siebziger Jahren, aus seiner zunächst auf die 
        mediterranen und später auf die osteuropäischen Länder 
        zielende Erweiterung hervorgegangen ist. Trotz noch bestehender protektionistischer 
        Restbestandteile, die der Mehrheit der industrialisierten Länder 
        gemeinsam sind, hat dieser Effekt entscheidend zur Handelsöffnung 
        sowie zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Nationalwirtschaften 
        beigetragen. Mit dem Ziel, die Tendenz hin zu einer Konsolidierung des Mercosur als 
        formalem Prozess zu stärken und dessen Bild substanziell zu verbessern, 
        ist es angesichts der in den vergangenen zehn Jahren gemachten Erfahrungen 
        zweckmäßig, sich auf eine zügige Arbeit an vier vorrangig 
        zu bewertenden Aktionsfronten zu konzentrieren. Diese sollten hierbei 
        nicht so sehr aus dem Blickwinkel der traditionellen Kategorien von Freihandelszone, 
        Zollunion und gemeinsamem Markt in Angriff genommen werden. Eine gesunde, 
        eher unorthodoxe Sicht der Dinge würde den Weg freimachen für 
        die Reflexion, die Debatte, die Aktion und die notwendigen Verhandlungen. 
        Die Frage, um die es geht, ist die, wie ein dichtes Netz von Mechanismen 
        und Spielregeln gespannt werden kann, die gleichzeitig die Entwicklung 
        von sozialen Netzen wie auch von Produktionsketten zum verbesserten Wettbewerb 
        und zur verbesserten Verhandlungsführung auf globaler Bühne 
        ermöglichen. Die unter anderem von Manuel Castells artikulierte Idee 
        eines Netzwerks der Integration (integraciön-red) als Rahmen zur 
        Stimulierung und Förderung einer Netzarbeit aller bedeutenden gesellschaftlichen 
        Akteure des gemeinsamn Raumes ist die Idee, die für den Mercosur 
        in der derzeitigen Lage und für die Eingliederung seiner Mitgliedsländer 
        in der Welt die angemessenste ist. Es ist die Idee, die am ehesten der 
        Notwendigkeit der Mitgliedsländer des Mercosur entspricht, vielfältige 
        Bündnisse im Rahmen ihrer internationalen Handelsbeziehungen, die 
        weder ausschließlichen noch ausschließenden Charakter haben, 
        sondern durchaus miteinander vereinbar sind, einzufädeln. Die Artikulierung nationaler InteressenDie erste dieser vorranig zu bewertenden Aktionsfronten ist die der 
        Methoden zur Artikulation der jeweiligen nationalen Interessen vor dem 
        Hintergrund großer interner und internationaler Volatilität. 
        Dies bedeutet die Perfektionierung von Mechanismen zur Findung von Entscheidungen, 
        die die Interessen und Gegebenheiten der einzelnen Mitgliedsländer 
        in die weitmöglichste Perspektive der gemeinsamen strategischen Zielsetzungen 
        einordnen. Dies bedeutet aber auch die Institutionalisierung der Flexibilität 
        der Spielregeln sowohl in Bezug auf den wechselseitigen Handel - beispielsweise 
        in Form der Einrichtung von Ventilen zur Vermeidung von Krisensituationen, 
        die innerhalb strenger Grenzen und Vorgehensweisen sowie bevorzugt im 
        Rahmen von Abkommen oder sektoralen Wettbewerbs- und Exportprogrammen 
        zu erfolgen hätte - als auch in Bezug auf die Außenhandelspolitik. 
        Hierbei müsste ein gemeinsamer Außenzoll, der vorübergehend 
        auf Sektoren- bzw. landesbezogene Sondersituationen anzuwenden wäre, 
        inbegriffen sein, es müssten die besonderen Umstände eines jedes 
        Mitgliedslandes berücksichtigt und es müsste gleichzeitig ein 
        vertretbares Maß an Vorhersehbarkeit für die Investoren sichergestellt 
        werden. Die Verhandlungen hierüber müssten aus naheliegenden 
        Gründen unter Berücksichtigung der möglichen Auswirkungen 
        auf den Handel und auf die Investitionen selbst geführt werden. Die 
        Interpretationsweite und die Zweideutigkeit von Artikel XXIV des GATT-Abkommens 
        von 1994, aber auch die Deutungsweite der in seinem Zusammenhang gemachten 
        konkreten Erfahrungen geben genügend Spielraum für eine gesunde, 
        der wirtschaftlichen Rationalität keineswegs zuwiderlaufende Handlungsfreiheit, 
        vor allem in der flexiblen Handhabe der Frage des gemeinsamen Außenzolls 
        in der Übergangszeit zu einem einheitlichen Zollgebiet. Dies würde 
        sogar die Eingliederung Chiles als Vollmitglied des Mercosur ermöglichen, 
        was dessen Glaubwürdigkeit und äußeres Erscheinungsbild 
        schlagartig erhöhen bzw. aufhellen würde. Während einer 
        im Regelwerk der WTO vorgesehenen Übergangszeit wäre die Hauptaufgabe 
        die Sicherstellung der kollektiven Dispizlin in der Außenzollpolitik 
        der jeweiligen Länder, bis zu dem Punkt, an dem der gemeinsame Außenzoll 
        seine Entwicklung abgeschlossen hat. Dies bedeutet, dass die eventuell 
        auftretenden Schwankungen im Außenzoll sich im Rahmen gemeinsamer 
        Regeln zu ihrem Ausgleich entwickeln sowie innerhalb automatischer Prozesse 
        zu ihrer Konvergenz gesteuert werden.
 Vor allem bedeutet dies jedoch die Notwendigkeit zu einer großen 
        Reflexions- und Aktionsanstrengung in einem jeden der Mitgliedsländer 
        selbst im Hinblick auf dessen tatsächliche nationale Interessen betreffs 
        der Einbringung der eigenen "Wettbewerbsfähigkeit auf regionaler 
        und auf globaler Ebene. Dies schließt zudem auch die Behebung von 
        in einigen Fällen beobachteten offenkundigen Mängeln bei der 
        Art und Weise ein, wie die sektoralen und regionalen Interessen innerhalb 
        der einzelnen Länder selbst artikuliert werden. In dieser Fragestellung 
        erscheint es empfehlenswert, dass die Mitgliedsländer sich zur Institutionalisierung 
        der Funktionsweise ihrer jeweiligen Nationalbehörden für den 
        Gemeinsamen Markt (Secciones Nacionales del Grupo Mercado Comün) 
        verpflichten, um so zum einen eine effizientere Koordination der Regierungen 
        untereinander bei der Definition der nationalen Ziele innerhalb des Mercosur 
        zu erzielen, zum anderen aber gleichzeitig auch eine höhere Beteiligung 
        der Zivilgesellschaft auf den verschiedenen Artikulationsebenen. Ein solcher 
        Schritt würde es ermöglichen, die Gruppe der Landeskoordinatoren 
        des GMC (Anm.d.LJ.: Grupo Mercado Comün / Ländergruppe des Gemeinsamen 
        Marktes) als die Operationsachse der institutionellen Struktur zu stärken, 
        womit die Strukturen des COREPER (Anm.d.Ü.: Comite de los Representantes 
        Permanentes de los Estados Miembros de la Union Europea / AStV, Ausschuss 
        der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten der Europäischen 
        Union), des eigentlichen harten Kerns der europäischen Institutionen, 
        nachgezeichnet würden. Dieses Kollegium könnte in seinem Aktionsbereich 
        eine technische Leitung einrichten, deren Mitglieder auf der Basis von 
        Ausschreibungen gewählt und mit zeitlich begrenzten Verträgen 
        ausgestattet würden. Dies würde die Aufgabe erleichtern, die 
        im Einvernehmen mit den Mitgliedsländern zu treffenden Entscheidungen 
        vom technischen Standpunkt her vorzubereiten, und zwar sowohl im Bereich 
        der Festigung und Vertiefung des Mercosur als auch im Bereich der Erweiterung 
        der Märkte im Rahmen der Außenhandelsverhandlungen. Es würde 
        der Netzwerkarbeit aller Regierungsbehörden einen Impuls verleihen, 
        in deren Kompetenzen die Fragen der gemeinsamen Interessen liegen, so 
        beispielsweise auf dem Gebiet der Exportförderung und der Gesundheitskontrolle, 
        der Steuern und Zölle, der Handelsverteidigung und des Wettbewerbs, 
        aber auch des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts. Darüber 
        hinaus würde es ebenfalls die Netzwerkarbeit der Dach- und Sektoralorganisationen 
        des Unternehmerbereichs anregen sowie andere institutionelle Artikulationseinrichtungen 
        der Zivilgesellschaft, des akademischen und kulturellen Lebens, der politischen 
        und gewerkschaftlichen Bühne sowie schließlich der Bewegungen 
        zum Schutz der Verbraucher sowie der Umwelt. Der Ausbau der MercosurpräferenzDie zweite Aktionsfront ist die des Ausbaus der Mercosurpräferenz, 
        was nicht nur die Verbesserung des immer noch von unnötigen Mängeln 
        geplagten Freihandelsraums bedeutet, sondern auch die wirksame Ausweitung 
        der Präferenz auf Dienstleistungen und Käufe der Regierung. 
        Hierbei ist genau der Mut vonnöten, den Präsident Fernando Henrique 
        Cardoso forderte, als er Kanzler Celso Lafer in sein Amt einführte. 
        Das gesteckte Ziel sollte klar sein: die Ausdehnung des Konzepts des internen 
        Marktes auf alle Güter und Dienstleistungen. Die dabei zu setzenden 
        Fristen können und sollen realistisch sein. Jedoch müssen die 
        Märkte und die Bürger deutlich wissen, welches die tatsächliche 
        Richtung ist, in die der Mercosur steuert. Derzeit ist der Horizont noch 
        konturenlos und unklar. Diese Unklarheit wird noch verstärkt durch 
        die fehlende Transparenz bei den Spielregeln. Es ist schwer zu erkennen, 
        welche von ihnen tatsächlich in den jeweiligen Ländern gelten, 
        und selbst der Zugang zur Kenntnis der verschiedenen Abkommen und Entscheidungen, 
        Resolutionen und Erlasse bleibt demjenigen verwehrt, der den darauf spezialisierten 
        Regierungsbehörden nicht angehört. Es wäre zu wünschen, 
        dass allen Akteuren der Zivilgesellschaft über das Internet der problemlose 
        Zugang zum tatsächlichen Rahmenwerk der rechtlichen Verpflichtungen 
        des Mercosur offen stünde. Dies wäre eine vorrangige Aufgabe 
        der derzeitigen Verwaltungsbehörde, deren Sprecherbüro derzeit 
        lediglich die Titel der entsprechenden Verträge bekannt gibt. Die 
        bestehende rechtliche Verwirrung um das sogenannte Automobilabkommen (acu-erdo 
        automotriz) mag hier nur als ein Beispiel dienen.
 Die Stärkung der kollektiven DisziplinDie dritte Front ist die der Stärkung der kollektiven Disziplin auf 
        dem Gebiet der Makrowirtschaftspolitik, der Außenhandelspolitik 
        sowie der Verhandlungsführung mit Drittländern und mit Wirtschaftsblöcken 
        durch die jeweiligen Regierungen. Es kann nicht bestritten werden, dass 
        die bis heute auf diesem Gebiet erzielten Ergebnisse dürftig sind. 
        Es geht nicht darum, bereits an die Pforte des Paradieses zu gelangen. 
        Worum es dagegen geht, ist, ein Mindestmaß an Spielregeln aufzustellen, 
        die das Bemühen der Mitgliedsländer um ein gemeinsames Vorgehen 
        in den Augen von Investoren und Drittländern glaubhaft erscheinen 
        lassen. Es ist nötig, diese durch Taten zu überzeugen, d.h. 
        davon, dass die vier Partnerländer, und insbesondere Argentinien 
        und Brasilien, in der Tat bereit sind, die faktische Notwendigkeit eines 
        Mindestmaßes an kollektiver Disziplin anzuerkennen, die ihrem natürlichen 
        Hang zur Ergreifung unilateraler Maßnahmen jenseits der beschlossenen 
        Kompromisse Schranken setzen, und die selbst zu einer tatsächlichen 
        Beschränkung des versprochenen unbeschränkten Zugangs zu ihren 
        jeweiligen Märkten oder zu einer künstlichen Verzerrung der 
        relativen Wettbewerbsbedingungen in dem integrierten Wirtschaftsraum führen 
        könnten. Es handelt sich also um ein Projekt, dessen Tragfähigkeit 
        auf einer außergewöhnlichen Anstrengung - größer 
        noch als die bis zum jetzigen Zeitpunkt unternommenen - zur Festlegung 
        der Produktionsstrukturen beruht, und dies besonders in den für alle 
        Mitgliedsländer höchst empfindlichen Bereichen. Die Idee der 
        Integration von Produktionsketten im Umfeld von Wettbewerbsforen und sektoralen 
        Exportprogrammen verdient heute die vorrangige Aufmerksamkeit von Regierungen 
        und Unternehmern. Letzteren einen erneuerten FONPLATA (Anm.d.Ü.:Fondo 
        Financiero para el Desarrollo de la Cuenca del Rio Plata / Finanzfonds 
        zur Entwicklung des Rio Plata-Beckens) an die Hand zu geben, der auf den 
        Erfahrungen des Europäischen Investitionsfonds beruht, könnte 
        ein bedeutender Schritt in Richtung einer breiteren Beteiligung der kleinen 
        und mittleren Unternehmen an der Regionalintegration, aber auch in Richtung 
        ihres Engagements in regional operierenden Netzwerken sein, deren Ziel 
        der Wettbewerb auf Weltebene ist. Dies wäre eine Antwort auf die 
        zentrale Idee des Südamerikanischen Gipfels von Brasilia, Netzwerke 
        der physischen Integration, des Transports, der Logistik und der Verteilungsketten, 
        aber auch der Energie sowie der Telekommunikationssysteme zu bilden, deren 
        Mittelpunkt mächtige, als Rückgrat fungierende Integrationsachsen 
        sind.
 Das Vorgehen bei HandelskonfliktenDie vierte Front schließlich ist die des Vorgehens bei natürlichen 
        Handelskonflikten. Hierbei sind keine komplexen institutionellen Strukturen 
        erforderlich, sondern die volle Anwendung der derzeitigen Regierungsmechanismen, 
        wobei besonders die tatsächliche Funktion der Handelskommission und 
        der Gruppe des Gemeinsamen Marktes zu stärken wäre. Dies bedeutet 
        die Entwicklung der nationalen Verwaltungsmechanismen für die den 
        Mercosur betreffenden Handelsfragen. Es bedeutet darüber hinaus, 
        die bestehenden Konfliktlösungsmechanismen (Protokolle von Brasilia 
        und Ouro Preto) zu vervollkommnen, wobei eine Reihe einfacher Regeln (unabhängige 
        Expertengruppen auf Handelskommissionsebene, transparente und unveränderliche 
        Listen von Experten und Schiedspersonen, gemischte Auswahl von Schiedspersonen) 
        konkret umgesetzt werden müsste und jedes Land die Vorstellung eines 
        an wenigen, jedoch tatsächlich zu erfüllenden Regeln orientierten 
        Prozesses (rule-oriented process) zu übernehmen hätte. Die Schaffung 
        einer Reihe gemeinsamer Dienststellen beispielsweise im Bereich des Wettbewerbs- 
        und Handelsschutzes, deren Mitarbeiter vertraglich gebundene Fachleute 
        wären, würde ebenfalls zur Verbesserung der institutionellen 
        Struktur des Mercosur beitragen.
 SchlussfolgerungenAls Schlussfolgerung darf festgehalten werden, dass im Rahmen der ursprünglichen 
        strategischen Idee keines der derzeit bestehenden Probleme innerhalb des 
        Mercosur als formalem Integrationsprozess nicht auf vernünftige Weise 
        zu lösen wäre. Dies ist zumal in dem Maße der Fall, in 
        dem der Wille zu Verhandlungen besteht, zum wirklichen Aufbau eines gemeinsamen 
        Raumes und zur Bewahrung der Wechselseitigkeit der Interessen, der einzigen 
        Form, die die partnerschaftliche Bindung der Länder sowie deren gesellschaftliche 
        Legitimität zu tragen vermag.
 Hierzu bedarf es indes einer starken kollektiven politischen Führung, 
        organisatorischer Vorstellungskraft sowie der kreativen Teilnahme der 
        Zivilgesellschaft. Außer Zweifel steht dagegen, dass ein Mercosur 
        ohne Impulse und Initiativen in Zeiten heftiger Turbulenzen - dem Prinzip 
        des Autopilots vergleichbar - zu nichts taugt. Mehr noch, er kann nur 
        allzu leicht auseinander brechen. Ein gefestigter Mercosur steht keineswegs im Widerspruch zur Idee des 
        ALCA. Im Gegenteil, er kann die notwendige Voraussetzung für den 
        Erfolg echter, die gesamte Hemisphäre umspannender Verhandlungen 
        und, dies vor allem, für dessen gesellschaftliche Legitimität 
        in den Mitgliedsländern sein. Ohne den Mercosur würde die Idee 
        des Freihandels im Bereich der Hemisphäre weit eher Gegenstand einer 
        ernsthaften Infragestellung durch die Gesellschaft selbst sein. |